Wie angekündigt gibt es heute ein Interview mit der Autorin von „Rean – Das Siegel des Orakels“ und „Ondragon“: Anette Strohmeyer. Sie ist nicht nur eine tolle Autorin, sondern auch eine faszinierende Person: gelernte Goldschmiedin und ehemals Basketballerin in der 2. Bundesliga mit obendrein künstlerischem Talent. Viel Spaß beim Lesen!
- Stelle Dich den Lesern bitte kurz vor. Wer bist du? Was machst Du? Woran schreibst du gerade?
Hallo, ich bin Anette Strohmeyer Jahrgang ‘75 und komme aus Düsseldorf. Ich schreibe seit zehn Jahren Romane verschiedener Genres. Angefangen habe ich mit dem Fantasy-Mehrteiler „Raen – das Siegel des Orakels“, den ich gratis bei Bookrix veröffentliche. Anschließend habe ich mich in die Welt des Mystery-Thrillers gestürzt und meine neue Hauptfigur Paul Ondragon entworfen. Auch wenn meine folgenden Bücher in der realen Welt spielen, ist das Fantastische doch immer ein zentrales Element in meinen Geschichten, denn ich liebe das Mysteriöse und Geheimnisvolle.
Vor zweieinhalb Jahren habe ich dann auch endlich einen Verlag gefunden, der meine „Ondragon“-Reihe veröffentlicht und an dessen „Porterville“-Projekt ich mitwirken durfte. Die „Psychothriller GmbH“ von Ivar Leon Menger ist ein kleiner aber sehr feiner eBook-Verlag und der Name ist wirklich Programm. Momentan schreibe ich Vollzeit und arbeite an Band 4 der Ondragon-Reihe, die vielleicht mal 10 Folgen umfassen soll.
- Was erwartet den Leser in „Raen – Das Siegel des Orakels“?
Auch wenn Fantasy auf dem Roman draufsteht, erwartet den Leser eine sehr viel realere Welt, als bei normalen Highfantasy-Geschichten. Meiner Welt liegt die Geographie Europas zugrunde und es spielt in einer Zeit ca. 1200 n. Chr. Der Clou dabei ist jedoch, dass ich dieses Europa mit fiktiven Völkern besiedelt und neue Königreiche erschaffen habe und nebenbei gibt es auch ein wenig Magie und Übersinnliches, wie z. B. die Fähigkeit der Hy, mithilfe des Dritten Auges Angriffe auf ihr Land vorauszusehen und bei einer Schlacht den Fluss der Zeit zu verändern, um kämpferisch im Vorteil zu sein. Elfen, Zwerge und Zauberer wird man aber vergeblich suchen. Dafür alles andere, was ein Fantasy-Epos ausmacht: tapfere Krieger, berühmte Schwertkämpfer, grausame Könige, hellsichtige Orakel, Freundschaft, Liebe, große Schlachten und Intrigen zwischen den Königshäusern – ich würde das Ganze heute eher als „Game of Thrones nur ohne Drachen“ bezeichnen. Damals, als ich „Raen“ schrieb, hatte es diese Bücher noch nicht gegeben.
Die Geschichte ist ein Entwicklungsroman und eine Heldenreise des Hauptprotagonisten Raen. Der Leser verfolgt sein Leben von der Geburt an bis zu … na ja, mehr darf jetzt nicht verraten. Neben Raen gibt es noch viele andere ausführlich ausgearbeitete Charaktere, unter anderem sein vermeintlicher Widersacher Kanaima, der Prinz von Askhar. Am Ende sind ihre Schicksale untrennbar miteinander verknüpft und sie müssen erkennen, dass die Feindschaft ihrer Völker sinnlos war.
- Es ist zwar abgedroschen, diese Frage zu stellen, aber es interessiert mich so sehr: Wie bist du auf die Idee zu der Geschichte gekommen? Gab es einen besonderen „Auslöser“?
Hm, da muss ich überlegen. Da es mein erstes Buch war, war der Auslöser oder die Absicht, es tatsächlich zu schreiben, nicht ganz so klar wie bei den folgenden Büchern. Eigentlich hatte ich schon immer viele Geschichten im Kopf und dabei hat sich die Idee zu der Hauptfigur Raen herauskristallisiert. Erst wollte ich einen Comic daraus machen, da ich gerne zeichne. Ich war damals sehr beeindruckt von den Comic-Künstlern Moebius und Loisel. Aber mir ist dann schnell aufgegangen, dass mein Talent doch sehr beschränkt ist und habe dann begonnen, einzelne Szenen zu schreiben. Daraus ist dann allmählich die ganze Geschichte rund um Raen und Kanaima erwachsen. Einen kompletten Plot wie heute hatte ich damals noch nicht. Deshalb ist das Ganze wohl auch so lang geworden. 🙂
- Bei „Raen“ handelt es sich um eine Mischung aus Fantasy- und historischem Roman. War das von Anfang an beabsichtigt oder wolltest Du zuerst nur eines von beidem schreiben?
Das war volle Absicht, da ich Fantasy mit den oben genannten Elfen und Zwergen doof fand aber unbedingt eine eigene funktionierende Welt erschaffen wollte. Mein Ziel war es, eine Art utopische Gesellschaft zu entwerfen, in der alle gleich sind und ein glückliches Leben führen können, natürlich kommt man dann zu dem Schluss, dass das nicht möglich ist und dass es immer jemanden gibt, der querschlägt und nicht in das Muster passt. Das war dann Raen, der mit der Gesellschaft von Hy nicht zurechtkam. Und am Ende steht dann als logische Konsequenz die Zerstörung dieses „Paradieses“.
- Inwieweit unterscheidet sich das fertige Endprodukt von Deiner ersten ursprünglichen Idee? Gab es im Verlauf der Entstehung große Änderungen?
Oh ja, viele, da ich mir ja vorher kaum Gedanken um den Plot mit seinen Einzelheiten gemacht habe. Zwar wusste ich grob, wo ich hinwollte, aber es kamen immer neue Ideen, Figuren und Wendungen hinzu. Heute würde ich ein Buch wahrscheinlich nicht wieder in dieser Ausführlichkeit schreiben. Das ist einerseits schade, denn man taucht nie wieder so tief in die Materie ein, andererseits ist es aber notwendig, wenn man mit der Seitenzahl im Rahmen bleiben will.
Ich habe bei diesem Buch viel gelernt über das Schreiben, natürlich auch aus den Fehlern. „Raen“ war sozusagen mein Gesellenstück und Ondragon die Meisterprüfung.
- Ein Blick auf deine Webseite zeigt, dass Du auch künstlerisch sehr begabt bist. Wie wichtig ist dir Zeichnen/Malen beim Entstehungsprozess der Geschichte? Skizzierst Du beispielsweise Szenen erst comicartig, bevor Du sie niederschreibst?
Ja, da wären wir wieder bei der Frage von oben. Da „Raen“ ursprünglich ein Comic werden sollte, habe ich natürlich die Charaktere vorher skizziert und auch die Karten und Gebäude. Das macht zum einen Spaß und zum anderen hilft es bei der Visualisierung der Roman-Welt. Für alle, die es interessiert, ist das Skizzenbuch zu „Raen“ auch bei Bookrix einsehbar oder etwas ausführlicher auf meiner Webseite.
- Die Inhalte im Roman sind klasse recherchiert. Wie bist Du bei der Recherche vorgegangen?
Danke für das Kompliment. Ich finde es immer schön, wenn Leser merken, wie viel Arbeit hinter einem Buch steckt. Beim Fantasy muss man zuerst einmal beachten, dass man sich in der Welt, die man erschaffen hat, sehr konsequent verhalten muss. Das ist das Paradoxe bei diesem Genre: Du kannst dir die Welt frei erfinden, ABER du muss dich dann auch akribisch daran halten. Das macht es eigentlich schwerer, einen Fantasy-Roman zu schreiben, als einen historischen oder einen, der in der realen Welt spielt.
Nachdem ich also meine Rahmenbedingungen festgelegt habe: Geographie Europas und Zeit 1200 n. Chr., ging es ans Feintuning. Was gab es zu dieser Zeit zu Essen in Europa, welche Waffen, technologische Erfindungen, usw. Das habe ich dann entweder aus Fachbüchern oder aus dem Internet. Dazu muss ich sagen, dass ich Fachbücher liebe. Da guckt man immer wieder mal rein. Meine liebsten sind der historische Weltatlas von Putzger, mein Heilkräuterbuch und das Lexikon der Symbole. Und natürlich auch der Duden, der ist unverzichtbar 🙂
Eine grobe erste Recherche zum Buch findet im Vorfeld statt, damit ich mich besser orientieren kann. Dann werden ein paar Fachbücher gewälzt und die Kleinigkeiten gucke ich dann neben dem Schreiben nach. Während der Arbeit an „Raen“ habe ich sogar mit dem Bogensport und dem Schwertkampf begonnen. Das fand ich wichtig für die Philosophie, die hinter dem Beherrschen verschiedener Waffengattungen steckt. Das Wichtigste aber ist, viele andere Bücher desselben Genres lesen. Denn andere Autoren vor dir haben auch schon recherchiert.
- Für jemanden, der historisch nicht so bewandert ist: Könntest Du erklären, wie viel ausgedacht ist und wie viel stimmt?
In der Roman-Welt von „Raen“, wie sie generell funktioniert, ist kaum etwas ausgedacht, also die historische Basis stimmt soweit. Vielleicht 15 % sind ausgedacht. Das ist beinahe korrekt oder authentisch, wie der eingefleischte Reenactment-Spieler sagt. Rein erfunden sind dagegen die Völker, deren Traditionen und Gebräuche und auch deren mythologischer Hintergrund wie z. B. das Orakel Soghul und die Schicksalsgöttin Zaizura. Natürlich ist alles inspiriert durch die Wirklichkeit, denn auch im antiken Griechenland hat es Orakel gegeben und einige Völker haben bewusstseinsverändernde Drogen genommen, um im Kampf stärker zu sein. Die Fiktion ist also nicht so weit hergeholt, wie man vielleicht denken mag. Das Leben schreibt immer noch die besten Geschichten. Für „Raen“ musste ich sie dann nur noch passend für seine Welt modulieren. Meine Absicht war es auch, alles so real wie möglich zu gestalten. Das wirft natürlich die Frage auf, warum ich dann nicht gleich einen historischen Roman geschrieben habe. Nun, ich weiß es nicht. Ich hatte vielleicht gedacht, dass Fantasy einfacher zu schreiben ist. Falsch gedacht 🙂
- Die Figuren sind alle sehr nachvollziehbar und plastisch gestaltet. Wie bist Du bei der Entwicklung der Figuren vorgegangen?
Ich habe mich sehr tief in sie hineingefühlt. Das geht heute bei meinen anderen Büchern nicht mehr so intensiv. Beim ersten Buch ist das aber alles noch anders. Da ist man voller Leidenschaft und so sehr mit der Welt beschäftigt, als sei sie real. Ich fand es damals manchmal sogar schade, dass ich diese Welt nie mit dem richtigen Auge sehen würde. Man könnte aber auch sagen, dass jede Figur auch einen Aspekt von mir verkörpert. Denn wer will nicht auch mal den Bösen oder den Verruchten spielen? Das macht übrigens sehr viel Spaß.
Ich habe für jede Figur eine Kurz-Charakterisierung angelegt mit Aussehen, Vorlieben, Abneigungen und natürlich den vorherrschenden Motivationen und Gefühlen. Und ich hatte einfach sehr viel Zeit, mich mit den Charakteren auseinanderzusetzen. Über 3 Jahre und wenn man die Ideenphase vorher noch mitzählt, dann sind es sogar noch mehr. Heute brauche ich für ein Buch mit ca. 450 Seiten 1 Jahr inklusive der Recherche. Da stecke ich dann noch in der Hauptfigur und in ein zwei Nebenfiguren und das war’s. Ich versuche natürlich trotzdem, sie mit genügend Tiefgang und Vielschichtigkeit auszustatten.
- Wie sehr identifizierst du dich mit den Figuren? Gibt es welche, mit denen du dich mehr/weniger identifizierst?
Es ist nur natürlich, dass man einige der Figuren mehr und andere weniger mag. Aber wie gesagt, kann man auch mit den bösen Charakteren viel Freude haben. Meine Lieblingsfigur ist ganz klar Raen. Er ist die Schlange im Paradies, der Querdenker, der Nichtkonforme. Danach kommen sein Vater Roman, Prinzessin Keï, König Katthike, Manoen und natürlich Kanaima. Aber es gab auch ein paar Randfiguren, die mich sehr berührt haben, obwohl sie eine nicht sooo große Rolle spielen wie z. B. der Patron, die Hysklavin Mate oder Kanaimas Tante Sama-Karla.
- „Raen“ ist dein Erstling. Aber was hast Du sonst noch geschrieben?
Wie schon erwähnt, habe ich nach „Raen“ das Genre gewechselt und bin zum Mystery-Thriller übergesiedelt. Das lag daran, dass sich auch meine Lesegewohnheiten geändert haben. Damals ging ich weg vom historischen Roman und hin zu mehr Krimis und Thrillern. Daraus entstand schließlich die Idee für die Reihe um den Problemlöser und Ermittler der besonderen Art Paul Ondragon. Er sollte eine Mischung aus James Bond, Agent Pendergast (Preston/Child) und dem Tokio-Killer (Barry Eisler) werden. Aber er sollte etwas mehr Hintergrund und Tiefe haben als die anderen Aktion-Figuren. Er bekommt viel mehr Raum für die Entwicklung seines Charakters. Seine Fälle beginnen zu Anfang immer sehr mysteriös und sogar mit Übernatürlichem. Zum Beispiel geht es im ersten Fall um den Wendigo, ein indianisches Legendenwesen, das im Wald haust und Menschen frisst, und im zweiten Fall geht es um Voodoo und Zombies – aber die echten Zombies und nicht die aus den Hollywoodfilmen. Am Ende gibt es stets eine Erklärung für all die ungewöhnlichen Phänomene, aber es bleibt auch immer ein klein wenig offen. Der Leser kann sich dann die Variante aussuchen, die ihm am besten gefällt. Am ehesten ist die Ondragon-Reihe mit den Büchern des amerikanischen Autorenduos Preston/ Child zu vergleichen, die gleichzeitig auch meine Vorbilder sind. Vorbild für „Raen“ waren übrigens die sehr schönen historischen Romane von Rebecca Gablé.
Und schließlich hatte ich die Ehre, bei dem tollen Projekt meines Verlegers Ivar Leon Menger namens „Porterville“ mitzuschreiben. Das ist eine Art Episoden-Roman, bei dem jede Geschichte aus der Sicht einer anderen Person erzählt wird. Das funktioniert wie ein Puzzle und am Ende hat man das Geflecht der Story zusammengeknüpft. „Porterville“ ist die Fortsetzung von „Darkside Park“ und ist bereits als eBook und Hörbuch erschienen, was mich ganz besonders freut, denn es sprechen so überragende Stimmen wie Simon Jäger (Matt Damon), Martina Treger (Sharon Stone) und Oliver Rohrbeck (Justus Jonas) meine Episoden. Die Arbeit an „Porterville“ hat sehr viel Spaß gemacht, denn wir waren insgesamt fünf Autoren und mussten uns immer wieder absprechen.
- Warum bietest du „Raen“ eigentlich gratis an?
Ich habe lange einen Verlag für „Raen“ gesucht und nur Absagen bekommen. Ist ja auch klar: ein Erstlingswerk mit über 2300 Seiten! Das druckt niemand. Ich wollte aber, dass die Geschichte gelesen wird, denn dafür habe ich sie ja geschrieben. Sie sollte Menschen unterhalten und in fremde Welten entführen. Zuerst habe ich sie als pdf-Datei auf meiner Webseite veröffentlich und dann fand ich noch Bookrix als geeignete Plattform. Aber es gibt von Seiten anderer Dienstleister mittlerweile immer mehr gute Angebote für das Veröffentlichen von Büchern. Und ich habe den Plan, „Raen“ eines Tages in einer Vier-Teile-Version herauszugeben. Mal sehen, ob ich ihn realisieren kann. Dazu möchte ich das Ganze aber vorher noch einmal professionell überabreiten lassen. Und vielleicht gibt es dann auch eine Printversion. Die Möglichkeiten sind ja heute alle gegeben. Und vielleicht interessiert sich ja dann doch noch ein Verlag dafür. Obwohl ich nicht weiß, ob ich den dann noch brauche. Der Buchmarkt wird sich in naher Zukunft ohnehin gewaltig verändern und wir Autoren müssen darin den besten Weg für uns finden. Ich bin gespannt.
- Kannst Du dir vorstellen, nach Ondragon vielleicht wieder ein Buch in der Art von „Raen“ zu schreiben?
Ich würde schon gerne wieder in eine fantastischere Welt abtauchen. Ich habe da auch schon eine Idee. Die wäre allerdings im Dark-Fantasy-Bereich angesiedelt. Aber keine Angst, es werden keine Vampire darin vorkommen 🙂 Aber eine Art historischer Fiktion wie „Raen“? Das weiß ich nicht. Eine Fortsetzung wäre ganz reizvoll. Wie sähen die Länder Hy und Askhar nach 100 oder 200 Jahren aus? Was ist aus Raens Kindern geworden, die ja alle in anderen Ländern leben? Werden sie sich jemals begegnen? Und haben sie seine Gabe geerbt? Das wäre schon spannend. Wir werden sehen.
Vielen herzlichen Dank für das Interview!
Die Webseite der Autorin: www.anette-strohmeyer.de